Der Buchrücken von Wer bin ich, wenn ich online bin

Wer bin ich, wenn ich online bin… Nicholas Carr

Auf der Suche nach einer eher philosophischen Betrachtung des Internets, bin ich auf das Buch „Wer bin ich, wenn ich online bin…“ von Nicholas Carr gestoßen. Selbstredend soll es zu meinem Leseerlebnis auch eine kleine Buchkritik geben, die neben Inhalt und Vorstellung einige Einschätzungen zum Buch enthält. Gerade weil das Internet immer mehr in unseren Alltag einzieht, ist es gar nicht so schlecht die Technologie und ihre Auswirkungen genauer zu überdenken. Zumindest hat Nicholas Carr mit seinem Werk einen ersten Schritt in diese Richtung unternommen.

Wer bin ich, wenn ich online bin…

Dieser Frage geht Nicholas Carr auf 383 Seiten inklusive Quellenangaben, Danksagung und einiger kleiner Exkurse auf den Grund. Um es vorweg zu nehmen, letztendlich gibt er keine befriedigende Antwort, zeigt aber sehr detailliert Abläufe und Veränderungen von Mulitmedia-Nutzern auf.

Der Buchrücken von Wer bin ich, wenn ich online bin
Wer bin ich, wenn ich online bin… von Carr

Zunächst beschäftigt sich der Autor mit der grundlegenden Frage, ob das Internet unsere Welt und jeden Einzelnen als Nutzer verändert. Dazu schlägt er einen großen Bogen über Neuroplastizität, die Auswirkungen der Erfindung von Uhr, Karten und Buchdruck bis hin zum Internet. Man spürt förmlich, dass Carr selbst auch noch eine andere Zeit kannte und kein so genannter „digital Native“ ist. An sich ist dies schon ein Beweis für seine These, aber dazu später mehr. Der Begriff der Neuroplastizität versteht man die Fähigkeit des Gehirns, sich an neue Eindrücke, Abläufe und Routinen zu gewöhnen und diese richtig gehend zu trainieren. Ein recht bekanntes Beispiel hierfür ist das gesteigerte Hörvermögen bei blinden Menschen.

An dieser Stelle noch ein paar Begrifflichkeiten und Hintergründe zum Thema Gehirn, Wahrnehmung, Bewustsein und Gedächtnis, damit man etwas mehr von der Kritik versteht. Bewusst nehmen wir Menschen nur relativ wenig wahr und über diese bewusste Wahrnehmung filtern wir die meisten Informationen aus und nur ganz wenige schaffen es über das Kurzzeitgedächtnis in unser Langzeitgedächtnis. Hier werden sie zu echten Erinnerungen, die wir immer wieder abrufen können und die unseren Charakter und Menschlichkeit formen. Das Kurzzeitgedächtnis entspricht dabei eher einem aktiven Arbeitsspeicher, mit welchem wir die aktuelle Gegenwart bewältigen. Schon kleine Ablenkungen hindern die Neubildung von Erinnerungen.

Das Buch geht nun auf die Wirkungsweise des Internets ein, da dieses den Nutzer immer auf höchstem Level fordert. Der klassische Lesefluß wird immer wieder von Hyperlinks, Filmen oder anderen audiovisuellen Eindrücken unterbrochen. Unter diesen Umständen fällt es den meisten Menschen schwerer das Erlebte zu speichern und konzentriert zu arbeiten. Ganz davon zu schweigen, dass man nebenher ständig seine sozialen Netzwerke und den Emaileingang checkt.  Carr bestreitet dabei keinesfalls den Nutzen des Internets und der großen Informationsflut, er erinnert mehr daran, dass jede neue Technologie den Menschen auch zu einer gewissen Aufgabe von anderen Fähigkeiten nötigt. Inwiefern und wie weitreichend diese Auswirkungen beim Thema Internet sind, kann man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend sagen, Studien gehen jedoch von enormen Veränderungen aus.

Auch auf Google wird recht ausführlich eingegangen und so geht Carr von der These aus, dass Googles grundlegendes Geschäftsmodell auf einer automatischen Ausweitung der Seiteneinblendungen basiert. Zudem wird noch Kritik an der Sammelwut geäußert, die sich vor allem auf das Projekt der Google-Books bezieht.

Buchkritik Wer bin ich, wenn ich online bin…

Carr hat ein zumindest spannendes Buch geschaffen, welches das Internet von einer recht neuen Seite betrachtet. In der Tradition der alten Griechen verleitet er seiner These zu folgen und gibt vordergründig an, dass er trotzdem durchaus kontrovers diskutieren würde.Man ertappt sich nur zu schnell dabei, dass man viele beschriebene Situationen auf sich selbst umlegt und diese als gegeben nimmt. Zudem entstand das Buch in der Zeit von 2007-2009 und auch wenn ich es jetzt 2012 gelesen habe, zeigen sich erste Beweise für gewisse Annahmen, aber auch durchaus abweichende Entwicklungen. Zum Beispiel geht das Buch von einer immer höheren Reizbelastung aus, die gerade durch die neuen großen sozialen Netzwerke ihre Bestätigung finden. Gleichzeitig werden aber soziale Signale wie eine hohe Aufenthaltsdauer immanent wichtig, was gegenläufig zum Buch ist. Immerhin gibt Carr zu, dass auch er die letzte Entwicklung nicht absehen kann.

Für wen?

Für wen eignet sich jetzt eigentlich „Wer bin ich, wenn ich online bin…“ und welchen Zweck erfüllt es?

  • Sicherlich werden sich technophobe Menschen sehr leicht von diesem Werk einwickeln lassen und sich in ihrer Lebensweise gestärkt sehen.
  • Ich persönlich halte das Buch jedoch besonders für Webworker im weitesten Sinn geeignet. Während man in diesem Bereich meist von Zahlen und Statistiken geleitet wird, kann man hier neue Einsichten und Ansätze zum Thema entwickeln.
  • Die dritte interessierte Gruppe dürften Menschen mit einem schwierigem bis problematischem Medienkonsum haben. Hier gibt es eine gute Hilfestellung zum Verständnis, welche Wirkungszusammenhänge es gibt.

Zudem kommen noch einige kleiner Gruppen, wie Studenten, die nicht verstehen, warum sie online langsamer Arbeiten, als offline, obwohl ihnen viel mehr Wissen zur Verfügung steht.

Fazit Wer bin ich, wenn ich online bin…

Ich selbst las das Buch gerne, auch wenn es von Beginn an als Versuch für ein neues Internetverständis geplant war. Für meine Arbeit im Internet konnte ich einige interessante und spannende neue Ansätze entdecken, muss diese aber erst noch auf ihre Richtigkeit überprüfen. Es erfüllte damit meinen Anspruch von einem recht denkerischen Ansatz zum Thema World Wide Web, bliebt aber in der harten Substanz der Fakten hinter meinen Erwartungen zurück. Man merkt einfach, dass es ein Mensch schrieb, der noch in der guten alten Offline-Welt aufwuchs und ihr zumindest in Stücken dabei nachtrauert. Vielleicht ist gerade dies die Quintessenz des Buchs: man sollte Bewährtes nicht zu schnell vergessen, damit man es notfalls wieder aufleben lassen kann.

Ich hoffe, der Artikel wurde nicht nach Carr nur kurz in den Überschriften überflogen und hat dem einen oder anderen doch einen Mehrwert verschafft. Wer jetzt selbst am Buch „Wer bin ich, wenn ich online bin…“ von Nicholas Carr interessiert ist, darf sich gerne über folgenden Link schlau machen. Ich würde mich ebenfalls über die eine oder andere Empfehlung des Artikels in Euren sozialen Netzwerken freuen.


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