Irland und die EU – Hintergrund – Reform und Grundlagenvertrag

Da haben die Iren doch tatsächlich gegen den EU-Reformvertrag gestimmt und bringen somit das europäische Konzept mächtig ins Wanken. Die Bevölkerung der restlichen Länder wurde vorsorglich erst gar nicht nach ihrer Meinung gefragt. Soweit dürfte das Thema jeder in den Medien mitbekommen haben, aber was steckt denn nun wirklich dahinter? Oder besser gefragt, was ist überhaupt der EU-Reformvertrag?

Im Grunde genommen ist der EU-Reformvertrag nichts anderes als eine Art europäische Verfassung. Der informierte Bürger wird jetzt aufhören und sagen, da war doch schon einmal etwas mit einer europäischen Verfassung. Vollkommen richtig, nur damals haben mehr Länder ihre Staatsbürger befragt, teilweise sogar mehrmals, aber es hat am Votum nichts geändert. Die Europäische Union sah sich also im Zugzwang und entwickelte einen Ersatzplan und genau dieser Ersatzplan ist jetzt der Europäische Reformvertrag. Steht großartig nichts anderes drin als in der ursprünglichen Verfassung, nur der Titel ist nicht so auffällig gewählt. Vorsorglich wurde eben keine Volksabstimmung in den meisten Ländern gemacht, weil die Politiker ihre Bürger für zu doof halten. Damit haben sie grundsätzlich recht, denn schließlich waren es eben jene Bürger, welche die Leute gewählt haben. Um den Leuten das Ding unterzujubeln sagen aber die Politiker, jeder genießt doch die Vorteile, welche uns Europa gebracht hat. Freies Reisen, freie Studienplatzwahl, man muss kein Geld mehr im Urlaub wechseln und lauter solche schönen Sachen. Haben die unsere gewählten Vertreter auch durchaus recht damit, nur vergessen sie dabei zu erwähnen, dass dies ja schon alles existiert und eben nicht erst durch einen Reformvertrag geschaffen wird.

Zurück zum Them, die Europäische Verfassung, der EU-Reformvertrag oder wie auch immer es gerade heißen mag, sollte den EG-Vertrag und den EU-Vertrag ablösen, ganz einfach aus dem Grund, weil die EU ein Stück gewachsen ist und dabei große Teile ihrer Handlungsfähigkeit dabei eingebüßt hat. Viele Entscheidungen können nur mit einem einstimmigen Votum entschieden werden und so viele Mitgliedsstaaten müssen irgendwie unter einen Hut gebracht werden. Das läuft dann ein bisschen wie auf dem Basar, sagt man zum Vorschlag des einen Landes nein, wird man spätestens bei einem eigenen Vorschlag die Retourkutsche bekommen. Dies erklären die Politiker aber nicht so, sondern sagen, das brauchen wir, warum kann Euch egal sein. Eigentlich heißt er auch nicht Reformvertrag, sondern Grundlagenvertrag der Europäischen Union oder ganz korrekt ausgedrückt Vertrag von Lissabon.

Bis jetzt kann man dem ganzen Vorhaben gegenüber durchaus positiv gegenüber stehen. Wir sind ein Europa, finden es toll, dass wir keinen Krieg mehr führen und umzingelt von Freunden sind. Warum sollten wir uns also nicht eine europäische Verfassung geben?
Natürlich sollten wir dies tun, nur eine Verfassung kann man doch bitteschön so formulieren, dass sie jeder versteht. Die ursprüngliche Europäische Verfassung hatte aber einen Umfang von circa 160.000 Worten. Wer jetzt mit dieser Zahl nichts anfangen kann, der darf sich vorstellen, dass die amerikanische Verfassung so sehr man sie auch gerade mit Füssen tritt irgendetwas unter 5.000 Worten enthält. Es handelt sich um einen ganz schönen Brocken und verstehen tut dies sowie so niemand. Schon zum Rohentwurf wurden Bücher veröffentlicht, welche erklären sollten, was die europäische Verfassung überhaupt aussagen will. Diese erläuternden Bücher haben dann die Politiker gelesen, welche jetzt ihre Bürger für zu doof erklären genau diesen Vertrag zu verstehen. Mag komisch klingen und ist es auch.
Da sitzen angeblich eine Menge kluger Köpfe in Brüssel zusammen und können sich noch nicht einmal auf ein paar Sätze verständigen, die ihren Bürgern eingänglich und verständlich wären. Sagen wir mal zum Beispiel, wir sollten die europäische Verfassung schreiben, dann würden wir uns nicht so doof anstellen, sondern mal kurz ein paar Sachen zusammen klauen.
Die würde des Menschen ist unanstastbar und alle Menschen sind gleich, auch Frauen… ein wenig zumindest. Wir, die Bürger der Europäischen Union geloben feierlich uns nicht gegenseitig aufs Maul zu hauen und uns sonst immer freundschaftlich und hilfsbereit zur Seite zu stehen. Gemeinsam sorgen wir für eine bessere und saubere Zukunft und arbeiten dafür, dass die Menschen in Europa eine bessere und gesicherte Zukunft haben. Dazu versuchen wir soweit es möglich ist auf den Gebieten der Arbeit, der Wissenschaft, der Außenpolitik, des Umweltschutzes, der Gleichberechtigung, der Währung und der Sicherheitspolitik eine gute Zusammenarbeit zu leisten.

Hört sich doch gar nicht so schlecht an und man kann es sogar verstehen. Eigentlich ist damit auch alles gesagt, aber weil die meisten Länder eben doch richtige Zicken sind, kommt dann ein Vertragswerk heraus, welches diese kurzen Sätze auf 160.000 Worte aufbläht.

Warum will die Bevölkerung denn dann aber nicht diese Verfassung, auch wenn sie noch so unverständlich sein mag? Ganz klarer Fall von schlechter Kommunikation, denn natürlich gibt es noch nationale Interessen und vor allem Interessen einiger Politiker eben nicht für ein einiges Europa zu sein. Da kommen zum Beispiel die Rechten und behaupten, freie Arbeitsplatzwahl in Europa nimmt hier den Leuten die Arbeit weg. Dies mag bis zu einem gewissen Grad stimmen, aber kann so nicht grundsätzlich behauptet werden.
Ein anderes Beispiel auf Deutschland bezogen ist zum Beispiel das freie Gewerberecht. Das heißt nichts anderes, als das ein italienischer Friseur  in Deutschland einen Salon aufmachen darf und seiner Arbeit nachgehen. Umgekehrt dürfen Deutsche natürlich auch einen Salon in Italien eröffnen und dies ist auch nicht der strittige Punkt. Es geht darum, dass der Italiener überhaupt keine Meisterprüfung braucht um hier sein eigenes Geschäft zu eröffnen. Das ist eine Sache der Zünfte und die sind mit ihren Rechten wirklich pingelig. Ein medial aufgeblähter noch offener Fall in diesem Bereich sind Wettbüros, denn eigentlich gibt es nur 5 deutsche private Lizenzen über Wettanbieter + die staatlichen Lottoeinrichtungen und Casinos. England, Österreich und andere Länder sehen das Thema nicht so eng und Wettanbieter aus diesen Gegenden wollen jetzt natürlich auf den deutschen Markt. Dies ist ihnen laut der EU auch erlaubt, nur das deutsche Gesetz sagt hier halt etwas ganz anderes. Die offizielle Begründung lautet, dass man den „Spielmarkt“ unter Kontrolle halten will, um so seine Bevölkerung vor Spielsucht zu schützen. Böse Zungen behaupten aber eher, dass man sich das hübsche Sümmchen an Steuereinnahmen nicht durch die Lappen gehen lassen will.
Ein weiteres Beispiel sind die Briten, die gerne ihre Insel 300 Meilen weiter ins Meer schieben würden, nur um nicht so nahe an Europa zu sein. Sie können nicht ohne Europa agieren, haben aber sehr starke Vorurteile. Sie befürchten vor allem eine Bevormundung durch die EU und eine Übermacht von Deutschland und Frankreich. Bis heute sind sie nicht der Währungsunion beigetreten und für den Reformvertrag haben sie sich schon wieder einige Extrawürste ausgebeten.

Zusammengefasst bleibt zu sagen, das einige Europa wird kommen, aber wie dies geschieht, bleibt eine offene Frage. Dies hat für alle nicht nur Vorteile, aber im Grande ist es eine feine Sache. Die Politik sollte allerdings darauf achten, dass sie ihre Bürger offen und frei informiert und zwar auf eine verständliche Art. Wenn dies nicht geschieht, besteht die Gefahr, dass Europa früher oder später auf sehr große Widerstände stößt, die dann nicht so einfach zu lösen sein werden. Auch sollte man das Votum aus Irland auf keinen Fall unter den Tisch fallen lassen und als sei nichts geschehen, mit der Ratifizierung fortschreiten. Die Leute lassen sich nicht gerne verarschen und wenn der Grundlagenvertrag der Einstimmigkeit bedarf, dann sollte er sie auch erhalten.

Wer sich weiter informieren will über den Reformvertrag und die europäische Verfassung, dem sei ausnahmsweise die Wikipediaartikel dazu empfohlen. Es ist zwar nicht alles stimmig und weite Teile sind viel zu kompliziert erklärt, allerdings bieten die Artikel zur Europäischen Verfassung und zum Grundlagenvertrag auf Wikipedia einen schönen ersten Einblick.


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